Dass unser Backfischfestumzug jedes Jahr aufs neue einen Besuch wert ist, dürfte sich bereits herumgesprochen haben, denn rund 100 Wagen schlängeln sich am ersten Festsonntag auf der Zugstrecke durch Worms bis in die Fischerwääd. Daran beteiligt sind Wormser Vereine und Unternehmen sowie Privatpersonen, die das Brauchtum Backfischfest mit viel Herzblut pflegen. Unterstützt werden Sie von Wormser Bürgern und vielen Gästen aus der Region, die den Zugteilnehmern vom Wegesrand zujubeln – am besten mit dem traditionellen Gruß „Ahoi!“.
Aber wussten Sie eigentlich, dass er anfangs ein Motto-Umzug war, bei dem traditionelle Märchen nachgestellt wurden? Bei einem Besuch im Stadtarchiv der Stadt Worms sind wir auf folgenden Artikel gestoßen:
Text aus der Wormser Volkszeitung vom 3. Sept. 1933
Das Backfischfest hat begonnen
Die ganze Woche war eine Spannung auf das erste Wormser Backfischfest. Die Kinder hatten in den Schulen allerhand gehört von dem, was da gestern Nachmittag zur Eröffnung des Festes vor sich gehen sollte. Die ganze schöne Welt aus den Märchenbüchern sollte lebendig werden. Und die ganz Kleinen, die noch gar nicht lesen können, hatten sich schon wiederholt die schönen, heimeligen Märchen erzählen lassen. Und sie kannten die Gestalten, von denen die wunderlichen Dinge alle erzählt wurden, aus den Bilderbüchern, die das Christkind, der Osterhase oder der Geburtstagsmann gebracht hatten.
In diesem Jahre hatten Wormser Stadtväter die glänzende Idee, ein großes Volksfest zu veranstalten. Keiner soll dabei fehlen. Auch die Kinder nicht. Ihnen besonders ist die Eröffnung der Festwoche gewidmet. Und gestern Mittag geschah das große Wunder für die Wormser Kinder (auch wir leider schon großen Leute wurden von laufend Erinnerungen aufgeweckt!): Die Märchenwelt wurde Wirklichkeit, Leben.
Um 2 Uhr war der Hof der Karmeliterschule ein bunter Kinderwirbel. Erst standen sie in ungeordneten Gruppen herum und waren etwas betreten von dem Unbekannten, was da kommen sollte. Die Frauen vom Wormser Hausfrauenverein unter der energischen Regie der rührigen Frau Lena Schützler brachten aber bald Ordnung in die Trabanten. Die Wagen fuhren ein. Die Gruppen formierten sich. Die Gesichter der Kleinen kamen ins Staunen. „Aaah“ und „Oooh“ klang es über den Platz. Bunt und phantastisch gekleidete Kinder stellten sich auf. Trommler und Pfeifer begannen ihr Spiel: Der Zug setzte sich in Bewegung.
In den Straßen stauen sich die Menschen. Alle, ob Groß oder Klein, wollen sich die Sache ansehen. Wir drängten uns zwischen die Menge und ließen den ganzen Zug an uns vorüberziehen. Was sahen wir da? In mittelalterlicher Tracht leitete der Vorreiter (ich glaube, es war eine Vorreiterin?) den Zug ein. Der SU-Spielmannszug folgte auf dem „Pferdefuß“. Die „verschiedenen“ Backfische waren aus dem Plakat herausgegangen, wie es in den Märchen um die mitternächtliche Stunde geht und marschierten mit. Das war schon gleich zu Anfang ein Wunder. Allgemeines Erstaunen! – Die Brautjungfern wandten dem Paar den Jungfernkranz, weißgekleidete Mädchen. Bei ihnen hatte sich der gestiefelte Kater eingeschlichen, der Schlaue. Er weiß, wo es schön ist. Dann aber kam ein ganz vornehmer Wagen, mit Blumen über und über geschmückt: Das Schneewittchen saß mit dem schönen Prinzen drin, der es erlöst hatte. Der Print[z] lachte, das Schneewittchen strahlte. Die braven Zwerge kamen hinter der eitlen Königin, die das Spiegelein von der Wand genommen hatte, um ihre Schönheit den Wormser Kindern zu zeigen. Die lieben Schwaben waren mit ihrem Spieß natürlich auch nach Worms gereist, begleitet von einer großen Menge Bauern. Viele Prinzen und Prinzessinnen befanden sich noch im unmittelbaren Gefolge des Hochzeitspaares. Sogar Holländer waren aus der Märchenwelt gekommen. Und ein Listbon aus einem modernen Märchen hatte sich eingefunden, um die Verbindung mit dem Jahre 1933 herzustellen. – Es waren soviel Gestalten da, man wird gar nicht fertig, sie alle aufzuzählen. Hinter den Fahnen des Reiches, die Hitlerjungen stolz trugen, kamen dann nur mehr Buben. Schneeweißchen und Rosenrot hätte ich beinahe ganz vergessen. Und den schönen Blumenwagen, aus dessen Turm ein „neckischer Backfisch“ mit einer weißgepuderten Perücke keck auf uns kleines Alltagsvolk herniederschaute. Und weil ich gerade daran bin, das Vergessene nachzufragen: das Rotkäppchen mit dem bösen Wolf und der guten Großmutter marschierten einträchtig nebeneinander. Sogar der Rattenfänger mit seiner lockenden Flöte hatte die Mühe nicht gescheut und war von Hameln nach dem Backfischfest gereist. Er betörte heute nicht die Ratten sondern – eine ganze Schlange Kinder. Die Goldmarie und die Pechmarie, die beiden ungleichen Schwestern, waren wirklich echt und erfreuten sich des Wohlwollens aller. Und habt ihr auch den bösen Struwwelpeter gesehen? Gott, sah der aus. Und wie frech er gelacht hat! Hinter zwei großen Bändern mit den Umschriften: „Des Kindes Spiel ist die Arbeit!“ und: „Unsere Kinder unsere Freude“ kamen Buben mit allerlei Gartengerät auf die Schultern. Die „Kleingärtner“ in „Kleinwagen“ mit ganz Kleinen besetzt, bildeten den Abschluss. Nein, ganz zum Schluss kam ein dicker Punkt, der aus dem Märchenbuch herausgesprungen war – ein prächtiger Blumenwagen. Die verschiedenen Wagen stammten von den Firmen Fröhling, Rückert, Böcker, Kunkel und Linder. In den Zug verteilt waren verschiedene Kapellen, die munter und zackige Marschweißen spielten: vom roten Kreuz, von der freiwilligen Feuerwehr und vom Stahlhelm. Durch die Siegfriedstraße, KW, Hardtgasse, Kämmererstraße, Korngasse, Rheinstraße bewegte sich der Zug.
Vorbei gings am Barbarossaplatz und Festplatz zum Hagendenkmal am Rhein, und in einer Wendung zurück auf den Festplatz, wo „Schneewittchens Hochzeitszug“ in einem großen Rechteck Aufstellung nahm und Konrad Fischer, der Organisator der ganzen Sache das Wort ergriff zu einer Begrüßung aller Erschienenen.
Er führte aus: Herzlich willkommen, Groß wie Klein, auf dem Wormser Backfischfest!
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(Quelle: Stadtarchiv Worms)
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